Beides kann die richtige Entscheidung sein
Hallo Annabelle,
bin zufällig auf Deinen Post gestoßen, als ich im Internet etwas gesucht habe ...
Ich glaube, ich kann Dir auf deine erste Frage (Adoption? Oder nicht?) etwas weiterhelfen.
Ich wurde mit 23 schwanger, war mit meinem damaligen Freund erst kurz zusammen, wir hatten nicht ordentlich verhütet ... und er hat mich 2 Wochen nachdem ich wusste, dass ich schwanger war, verlassen.
Für mich kam Adoption von Anfang an nicht in Frage. Heute sehe ich die Sache aber etwas anders.
Ich war damals in einer Geburtsvorbereitungsgruppe für alleinstehende Schwangere. Eine von uns war mitten in der Ausbildung und hat nach einer Adoptions-Familie für ihr Baby (noch vor der Geburt) gesucht. Sie sagte damals, ihr Freund war drogenabhängig, und sie selbst fühle sich einfach nicht reif genug, ein Kind großzuziehen. Sie war sich längere Zeit unsicher, aber je näher die Geburt rückte, desto sicherer. Sie fand dann über eine Vermittlung eine Familie, die schon 2 leibliche Kinder hatten, auf dem Land wohnten, und ein drittes Kind adoptieren wollten. Sie lernte die Familie kennen und war sich immer sicherer, dass sie ihr Kind zur Adoption freigeben wollte, weil sie sich selbst nicht bereit und reif fühlte, das Kind groß zu ziehen. Als sie das Kind gebar, hatte sie es unmittelbar nach der Geburt ganz kurz im Arm, und überreichte es dann der Adoptivmutter, die bei der Geburt dabei war und das Neugeborene (es war glaube ich ein Mädchen) sehr liebevoll in Empfang nahm. Ich glaube, es war sehr harmonisch und ‚richtig‘. Mit der leiblichen Mutter habe ich dann ein paar Monate später nochmal telefoniert. Sie sagte, sie habe keinen Kontakt zu den Adoptiveltern, das sei so gewollt, weil sie sonst emotional zu belastet sei, und eventuell eines Tages, wenn die Adoptiveltern das wünschten und sie selbst dazu bereit sei, könne man einen Kontakt herstellen – vielleicht. Ihrem Kind ginge es aber gut, das wisse sie von der Vermittlungsstelle. Es ging ihr (der leiblichen Mutter) gut, auch emotional, sie wusste, dass es eine sehr verantwortungsvolle, auch sehr selbstlose und die richtige Entscheidung für sie und ihr Kind war.
Wie es der Mutter später ging, und heute, nach über 20 Jahren, weiß ich allerdings nicht.
Ich selbst habe einen Sohn geboren und ihn alleine großgezogen. Er ist heute erwachsen. Ich bin unglaublich glücklich dass ich ihn habe und liebe ihn über alles.
Er hat aber mein Leben von Grund auf völlig umgekrempelt. Ich habe damals gerade studiert und habe mein Studium abgebrochen. Statt dessen habe ich dann eine schulische, technische Ausbildung gemacht, dabei habe ich Geld verdient und war schon nach 2 Jahren fertig. Es war für mich sehr stressig, die sehr anspruchsvolle Ausbildung mit meinem Anspruch, für meinen Sohn eine gute Mama zu sein, zu vereinbaren. Von 8 bis ca. 16:00 war Ausbildung (Schule), währenddessen war mein Sohn in einer Kinderkrippe. Da habe ich ihn dann nach der Schule abgeholt, bin nach Hause mit der U-Bahn gefahrne und habe mit ihm gespielt usw.... war aber meist durchaus K.O. Um 20:00 habe ich ihn ins Bett gebracht und habe angefangen, für die Schule zu arbeiten, meist bis 23 oder 24:00 Uhr. Am Wochenende war mein Sohn bei meiner Mama (seiner Oma), und ich habe meistens was für die Schule gelernt oder mich auch mal mit Freunden getroffen (oder beides). Später habe ich dann gearbeitet, habe einen guten Job gehabt, aber musste auch echte Karrierechancen sausen lassen weil ich nicht Geschäftsreisen machen konnte usw. Ich fühlte mich immer überfordert eigentlich, es kam sowohl der Beruf als auch mein Kind immer zu kurz. Und Freunde. Und Beziehungen. Es war immer ein hin- und her für mich.
Die Pubertät war dann eine ganz schwierige Zeit. Mein Sohn ist in vielen Dingen ganz anders wie ich und wir haben sehr viel gestritten. Er war schlecht in der Schule, ging dann auf die Hauptschule, geriet in ein Milieu, das in Richtung Kriminalität ging. Ich zog aus der Großstadt weg, um ihn da rauszunehme, aber wir hatten eine schwierige Zeit miteinander, wie gesagt, wir haben oft gestritten. Die Polizei hat ihn zweimal nach Hause gebracht und einmal sein Zimmer durchsucht. Solche Sachen. Ich war mit einer Realität konfrontiert, mit der ich einfach niemals gerechnet hätte. Verstehst du, ich komme aus einem sehr guten Elternhaus. Meine Schwester ist sehr erfolgreich beruflich und hat eine harmonische Familie, ihr Mann verdient sehr, sehr gut und sie haben zwei supererfolgreiche Töchter. Ich kam finanziell kaum über die Runden, konnte auch nichts sparen und war die rumschreiende Mama mit dem halbkriminellen Sohn. Ich fühlte mich asozial. Ich nahm auch Gewicht zu und mochte mich selbst nicht mehr leiden. Das war doch nicht ich! Als mein Sohn älter wurde, wurde es dann langsam besser, - er wurde vernünftiger, und es wurde bei ihm auch ADS diagnostiziert, er nahm dann Ritalin und von da an ging es für ihn in der Schule steil aufwärts. Unsere Streits wurde deutlich weniger. Na ja und je älter er wurde, desto besser ging es. Er hat aber trotzdem mehrfach die Schule abgebrochen und eine Ausbildung. Es war für mich eine schwierige Zeit, in der ich wahnsinnig viel gelernt habe über mich und das Leben und die Welt, wirklich.
Ich habe heute ein schlechtes Gewissen meinem Sohn gegenüber, dass ich ihm keine richtige Familie mit Geschwistern und vor allem einem Vater geboten habe. Ein Vater ist für einen Jungen so, so wichtig. Das weiß ich heute. Damals war ich dumm und habe geglaubt, ich könnte als Mama den Vater ersetzen, wir brauchen keinen Vater. Ein Vater kann man nicht ersetzen. Schon gar nicht für Jungen.
Mein Sohn und ich kommen heute ganz gut miteinander klar. Manchmal haben wir richtig gute Gespräche oder können uns zusammen kaputtlachen. Seit einem Jahr wohnen wir nicht mehr zusammen.
Manchmal denke ich heute, dass er vielleicht glücklicher in einer Familie mit Vater und Geschwistern geworden wäre. Ich glaube nicht, dass ich ihm als alleinerziehende Mama ein optimales Elternhaus bieten konnte, auch wenn ich sicher keine ganz schlechte Mama war. Ich glaube, dass ihm immer die Erfahrung, einen Vater zu haben, fehlen wird, und das tut mir so wahnsinnig leid. Ich wusste es damals nicht, dass das so wichtig ist. Heute weiß ich es.
Also ich erzähle Dir das, . weil ich glaube, dass beide Optionen (das Kind selbst großziehen oder zur Adoption freigeben) gut sein können. Letzendlich musst Du die Entscheidung mit dir vereinbaren können. Ich finde, eine Adoption kann eine ganz wunderbare Entscheidung im Sinne des Kindes sein! Und was kannst Du als Mutter mehr wollen, als das beste für Dein Kind? Es kann aber die andere Entscheidung, wie ich sie getroffen hatte, auch richtig sein. Sei nur nicht naiv. Ein Kind großziehen ist eine große Aufgabe, die dein Leben entscheidend prägen wird. Es ist kein Zuckerschlecken. Die ersten Jahre sind relativ einfach. Es können sich aber Probleme entwickeln, - z.B. wenn Dein Kind verhaltensauffällig ist oder so etwas, oder massive Schulprobleme hat ... wenn du dann kein stabiles Zuhause hast, sondern selbst im Alltag ums Überleben kämpfst, bist du sehr, sehr schnell an deiner Grenze. Es ist nicht so, dass dein Kind dir in der Pupertät dankbar ist für die Opfer, die du für es erbracht hast. Es wird deinem Kind mit 13 oder 14 Jahren vermutlich völlig wurscht sein, ob du selbst deine Jugend voll genießen konntest oder ob du mit 17 nicht in der Disko warst sondern viermal in der Nacht aufgestanden bist, um ihm dir Brust zu geben. Es kann sein, dass Deine Tochter beim Klauen erwischt wird, von der Schule fliegt oder sonstwas. Und dass sie nicht die Bohne bereit ist, mit Dir auch nur ein vernünftiges Wort zu wechseln. Sie zieht lieber mit ihren Kumpels und Freundinnen um den Block und kifft und knallt dir die posterbehangende Zimmertür vor der Nase zu, wenn sie nach Hause kommt. Das kann sich alles so entwickeln, also sei nicht naiv in Deiner Entscheidung.
Vielleicht bist du sehr familienorientiert. Wenn du sowieso unbedingt eine Familie mit Kindern haben willst, und eventuell sogar am besten Hausfrau werden willst und dir einen guten, auch gut verdienenenden Mann suchen willst, ist vermutlich die richige Entscheidung, dass du selbst das Kind großziehst und dein zukünftiger Mann es dann adoptiert und ihr noch Geschwister in die Welt setzt.
Ich wollte eigentlich schon immer lieber Karriere machen, die Welt bereisen und so weiter ... ich trauere meiner verlorenen Freiheit von damals nicht nach, denn wie gesagt, mein Sohn ist mehr wert als alles. Aber ich trauere darum, dass mein Sohn keine ‚ganze‘ Familie hatte, keine Geschwister hat und keinen Vater. Verstehst du, ich liebe ihn so, dass ich heute denke, dass ich damals vielleicht auch egoistisch war, und das ‚Abenteuer Kind‘ selbst erlebt habe, anstatt ihm vielleicht bessere Rahmenbedingungen zu bieten, indem ich ihn einer Familie anvertraut hätte, die ihm alles hätte geben können. Geschwister, eine heile Familie, ... Ich kann mir trotzdem einfach nicht vorstellen, ihn nicht selbst erzogen zu haben, und ich bin glücklich, dass mein Sohn da ist. Vorhin gerade haben wir eine Stunden lang telefoniert (und dabei nur kurz gestritten ...)
Vielleicht hilft dir mein Bericht ein wenig, die für Dich richtige Entscheidung zu finden.
Ich wünsche Dir alles Gute und Gottes Segen über Deiner Entscheidung.