Erfahrungsbericht Verhaltenstherapie - Mutter von Kind mit Zwangsstörungen
Hallo meine Lieben, ich bin die Mutter von einer Zwangmaus. Meine Tochter, sie ist 9 Jahre, macht seit 18 Monaten eine Verhaltenstherapie und ich bin inzwischen schon Expertin, was dieses Thema angeht.
Zuerst möchte ich euch eines sagen. Ihr seid nicht komisch oder verrückt. Ihr seid ganz normal und liebenswert. Ihr habt nur eine Krankheit! Diese Krankheit läuft unter dem Titel „Angst- und Zwangsstörung“. Man findet jede Menge Literatur zu diesem Thema und sehr viele Menschen leiden unter dieser Störung! Aber ihr müsst trennen zwischen eurer Persönlichkeit und zwischen dem Zwang. Der Zwang „umklammert“ euch und lässt euch Dinge tun, die ihr ohne diese Krankheit nie tun würdet. Besorgt euch ein Buch dazu und gebt es weiter an eure Angehörigen, es ist wichtig, dass auch die Bescheid wissen. Sie müsse verstehen, dass es sich hier um eine Krankheit handelt.
Unsere Therapeutin hat uns das so erklärt, jeder Mensch hat manchmal komische Gedanken wie z.B. „Was ist, wenn wir jetzt mit dem Auto gegen einen Baum fahren“ – aber ohne Krankheit sagt man sich, Blödsinn, es besteht jetzt überhaupt kein Grund, dass so etwas passieren könnte. Man schüttelt sich ab, bei manchen Ideen lacht man sogar darüber und macht weiter.
Bei Zwangsstörungen funktioniert dieser Mechanismus nicht. Der „Polizist“ im Gehirn (das ist der Ausdruck der Therapeutin), der normalerweise „Stopp, Blödsinn“ sagt ist zu schwach. Man glaubt diesen Gedanken und das gibt einem ein extrem schlechtes Gefühl. (=Zwangsgedanken), irgendwann kommen bei manchen Betroffenen dann die Zwangshandlungen dazu. Man macht Dinge, damit ein Ereignis nicht eintritt. Hinter jeder Zwangshandlung steckt eine Angst. Es gibt viele Zwänge und viele Kategorien von Zwängen. Z.B. Wasch- oder Kontrollzwang. Meine Tochter leidet unter einem Zwang, der sich als „Magische Handlungen“ zusammenfassen lässt. Wie einige von euch auch, muss sie Dinge mehrmals berühren (dabei spielt es eine Rolle, ob mit der linken oder rechten Hand und auch die Anzahl der Berührungen ist geregelt – ungerade ist Gut, gerade ist schlecht – man nennt so etwas Zählzwang). Bei dieser Art von Zwang denkt man, dass etwas Schlimmes geschieht, wenn man das Zwangsritual nicht durchführt.
Aber sobald man den Zwang ausführt, füttert man den Zwang und der Polizist wird schwächer. Es ist ein richtiger Teufelskreis.
Sinn der Therapie ist es, den Polizisten zu stärken und den Zwang zu schwächen. Irgendwann ist er einmal so schwach, dass man ihn wegpusten kann. Bei Zwängen arbeitet man mit Konfrontationstherapie! Bei uns schaut die Therapie folgendermaßen aus:
Zuerst erstellten wir eine Liste der Zwänge. Dann kam die Einteilung welche Zwänge wie schlimm sind. Meine Tochter sucht sich dann einen Zwang aus, an dem sie arbeitet. Sie sollte versuchen, einen bestimmten Zwang nicht auszuführen.
Später musste ich eine Schnitzeljagd zusammenstellen. Täglich schrieb ich auf Zetteln Aufgaben – dabei baute ich immer Handlungen ein, die genau das Gegenteil von dem waren, was der Zwang ihr befahl. Abschließend gab es immer eine Belohnung.
Nach einer gewissen Zeit führte sie die Konfrontationstherapie selbständig aus. Jeden Nachmittag versuchte sie für 3 Stunden die Zwänge nicht durchzuführen.
Jetzt arbeiten wir mit Zeichnungen. Erst untersuchen wir die Angst hinter dem Zwang. Z.B. muss sie derzeit ihre Finger abschlecken und damit ihre Füße berühren. Wenn sie das nicht macht, sind Leute, die über eine „ungeschützte Stelle“ gehen verflucht. Wir zeichnen dann wie ich über eine schlechte Stelle gehe und dann durch den Boden breche, ich falle auf den Bewohner unter uns und reiße ihn mit, das geht ein paar Stockwerke so weiter. Irgendwann krachen alle in den Boden, kommen auf der anderen Seite der Erde wieder raus, werden ins Weltall katapultiert und explodieren dort. Es geht darum, alles so zu überzeichnen, dass man dem Zwang einfach nicht mehr glauben kann.
Wichtig ist, dass man dem Zwang wirklich nicht mehr glaubt. Seid wütend auf den Zwang und betrachtet ihn als euren Feind. Schimpft ihn, sagt ihm „du sagst so einen Blödsinn!“ Führt im Geiste Rollenspiele durch, z.B. der Zwang sagt euch etwas, ihr sagt, „sicher nicht, wieso sollte ich auf dich hören, du erzählst mir doch ständig nur Blödsinn!“ Seid zickig ihm gegenüber und stur.
Wir arbeiten auch mit Entspannungstechniken, denn es ist wichtig, dass man ruhig und entspannt sein kann. Je unruhiger und gestresster man ist, desto einfacher hat es der Zwang.
In den letzten Monaten hatten wir einige Erfolge, aber immer wieder auch Rückschläge. Man muss konsequent arbeiten und sich immer wieder motivieren. Der Zwang ist tückisch, er lässt sich immer etwas Neues einfallen. Kaum besiegt man einen Zwang, kommt schon die nächste blöde Idee daher, aber das Schema ist immer wieder das gleiche.
Mein Kind konnte vor 1 ½ Jahren nicht mehr über Stufen und in die Schule gehen. Sie musste jeden Schritt wiederholen, damit er perfekt war. Außerdem konnte sie nicht schlafen, da sie ständig die Zwangsvorstellung hatte, dass sie eine Grimasse schneiden muss und dadurch blind wird. Es gab noch andere, schlimmere Zwangsvorstellungen. Sei stand ewig lange vor dem Wasserhahn, weil sie ihn immer wieder ein- und ausschalten musste, ebenso beim Lichtschalter. Wir durften sie nicht berühren, sie hat kaum mehr etwas angegriffen. Und es gab noch etliche andere Dinge. Mittlerweile ist sie wieder mitten im Leben. Es sind zwar noch Zwänge da, aber sie lebt ein normales Leben, hat Freunde und Spaß. Es ist noch nicht weg, aber der Alltag klappt viel besser.
Wichtig ist wirklich, dass ihr kein schlechtes Gewissen oder Schuldgefühle habt. Das verstärkt den Zwang nur noch mehr. Macht euch bewusst, dass es eine Krankheit ist und sucht euch Hilfe.
Macht eine Verhaltenstherapie, alleine ist es wirklich schwer mit dem Zwang fertig zu werden. Vermeidet Stress und denkt nicht dauernd an den Zwang. Ich habe kürzlich folgende Aussage gelesen: „Das Unterbewusstsein ist wie ein Garten. Die Gedanken die wir säen, gehen auf!“ Macht Dinge die euch Spaß machen – das Gehirn muss umprogrammiert werden. Ihr braucht viele positive Gefühle und Erlebnisse.
Wir arbeiten auch auf anderen Ebenen, mit Kinesiologie und psychosomatischer Energetik. Aber am wichtigsten war für uns die Verhaltenstherapie.
Zum Schluss noch ein Wort an alle Angehörigen – es ist auch für uns schwer, wir leiden mit und machen uns Sorgen, aber lasst nicht zu, dass sich euer ganzer Alltag nur mehr um den Zwang dreht, auch wir müssen unser Unterbewusstsein mit positiven Dingen füttern. Unsere Angehörigen sind nicht der Zwang, es stecken lustige, liebenswerte, kluge etc. Menschen in ihnen. Lasst uns die sehen und lernt zu erkennen, wenn sie das Zwangmonster gefangen hält. Wir müssen uns manchmal abgrenzen, damit wir wieder Energie bekommen, aber wir lassen unsere Kinder nicht fallen. Macht ihnen kein schlechtes Gewissen, nörgelt nicht an ihnen herum, unterstützt sie! Für uns ist es hart, aber für die Betroffenen ist es noch viel härter.
Ich wünsche euch alles Gute bei eurem Kampf!