Meine Zeit ist mein Leben!
Es ist paradox: Das Verhältnis zur Zeit verändert sich in der Zeit. Bis ins Mittelalter leben die Menschen in Tages- und Jahreszeiten, das heißt, in von der Natur bestimmten Zeiten. Als Zeitangaben gelten der Sonnenstand und die Mahlzeiten, in den Klöstern die Gebetszeiten. Wichtig ist, wer Zeit hat. Ein Geschäftsmann der Renaissance schreitet bedäch-tig dahin, Eile wäre als Wankelmütigkeit oder Unbeständigkeit erschienen. Langsamkeit dagegen symbolisierte Beständigkeit, Festigkeit und Unerschütterlichkeit. Auch der Adel „lässt“ sich Zeit. Die Uhr weckt nur wissenschaftliches und technisches Interesse.
Mit dem Aufkommen des Bürgertums wird die Arbeit wichtiger. Muße kommt schnell aus der Mode, die Uhr erhält einen zentralen Stellen-wert. Pünktlichkeit wird ein wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Lebens und der gesellschaftlichen Produktion. In der Manufaktur – und erst recht in der Fabrik – müssen die Arbeitszeiten vereinbart werden. Und sie werden überprüft. Die Zeit wird streng erfasst, gemessen und kontrolliert. Der Inbegriff dieser so erfassten Arbeitszeit ist die Stechuhr. Es entsteht die feste Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit.
Aber die Stechuhr erweist sich als eine willkürliche Grenze der Arbeits-zeit. Sie verschwindet zugunsten der „Vertrauensarbeitszeit“. Die Gren-ze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verfließt. Viele Menschen müssen daher lernen, ihrer Arbeitszeit selbst eine Grenze zu setzen. Dieser Anforderung sind viele Menschen nicht gewachsen. Die Arbeit scheint kein Ende zu nehmen … Das ist vor allem in großen Unternehmen ein Problem vieler Beschäftigter, die sich mit den neuen Formen der Organisation der Arbeit auseinandersetzen müssen.
Die Anforderungen werden durch die Globalisierung noch verschärft. Der globale Markt schläft nicht. Er hat keine natürlichen Grenzen, die Menschen dagegen schon. Das Merkwürdige an der Gegenwart ist: Die Menschen müssen lernen, ihre natürlichen Grenzen selbst zu bestimmen und sich danach zu richten. Wenn sie das – wie früher – der Natur überlassen, drohen Stress und Burnout. Denn als natürliche Grenze äußert die Natur sich erst, wenn es zu spät ist.
Der Beitrag „Meine Zeit ist mein Leben!“ stellt die Entwicklung des Ver-hältnisses zur Zeit in der Zeit dar. Er zeigt er Lösungswege auf – beispielsweise wie es möglich wird, Rücksicht auf die eigene Natur und die „innere Uhr“ zu nehmen – und gibt praktische Hilfen bei der individuellen Auseinandersetzung mit den veränderten Formen der Arbeitsorganisation.