Vergeben
Liebe Ute,
falls Du das liest...Dein Post erinnerte mich sehr an mich...es schwingt Verachtung, vielleicht sogar Hass, in Deinem Post zwischen den Zeilen mit. Und das kann ich gut verstehen. Ich habe meinen Vater jahrelang gehasst dafür, dass er trinkt und seiner Familie damit immer wieder das Leben zur Hölle gemacht hat. Ich habe ihn gehasst, als er im Krankenhaus lag mit Leberzirrhose, weil auch das der Familie natürlich das Leben zur Hölle machte. Ich habe ihn gehasst dafür, dass er keinen Willen, keine Kraft, keinen Mut zeigte, um zu kämpfen. Ich habe ihn dafür gehasst, dass er nicht einfach ab sofort nicht mehr zur Flasche greift, denn wie schwer kann das bitte sein? Wie wenig Disziplin muss man bitte haben, wenn man nicht einfach mit dem Trinken aufhört, obwohl es alles - und zuletzt auch einen selber - kaputt macht. Ich habe ihn dafür gehasst, dass er ist, wie er ist, dafür, dass er überhaupt existiert. Letztendlich hat er es im Krankenhaus geschafft, die Reißleine zu ziehen und einen Entzug durchzuhalten. Leider brachte es ihm nichts, weil er ein paar Monate danach schon starb. Aber diese paar wenigen Monate haben mich sehen lassen, dass es eben nicht so eine einfache Entscheidung ist, das Trinken sein zu lassen. Es ist eine Krankheit. Es ist nicht so, als ob ich mir die Disziplin zuschreibe zu sagen "ab heute esse ich nicht mehr so viel Süßes". Es ist etwas ganz anderes und keiner sucht es sich in dem Sinne aus. Probleme haben alle Menschen - manche haben nie gelernt, mit diesen umzugehen und finden den einzigen Weg im Alkohol. Damit möchte ich nichts beschönigen oder verteidigen. Ich hasse ihn immernoch für die Zeit vor dem Entzug. Aber ich habe eben auch gemerkt, dass in dem Alkoholiker immer noch ein anderer Mensch steckt, möglicher Weise kommt er nicht zum Vorschein, vielleicht wird er es auch nie mehr. Dennoch, das ist meine Meinung, muss man das irgendwie anerkennen, denn wenn derjenige erstmal gestorben ist, wird einem klar werden, dass man trotz allem trauern wird. Ich habe mir jahrelang gewünscht, dass mein Vater einfach verschwindet/abhaut, sogar stirbt und weg ist. Aber glaube mir, egal wie schlimm es ist, wenn es soweit ist, wird man nicht froh sein, diesen Wunsch gehabt zu haben. Was ich damit sagen will: Ich weiß selbst, was es für eine beschissen schwere Zeit ist, mit so jemandem umzugehen (der keinen Wert mehr auf nichts legt, alle nur blöd vollquatscht, wahrscheinlich auch noch launisch und gemein ist), aber lass dadurch keinen Hass in Dir wachsen. Das ist es nicht wert. Man kann das nicht entschuldigen oder gar vergeben. Aber sobald der Mensch gestorben ist, muss man mit all den Zwiespältigen Gefühlen klar kommen und mitunter erwischt man sich selbst auch dabei, wie man sich selbst Vorwürfe macht, was man anders/besser hätte machen können (hätte ich hartnäckiger sein müssen). Versuch es als Krankheit zu sehen. Krankheiten sucht man sich nicht aktiv aus (auch wenn man diese, Alkoholismus, natürlich aktiv angehen könnte, und es doch so gut wie niemand tut). Er ist nicht krank, um Euch zu ärgern oder Euch das Leben schwer zu machen. Er ist krank, weil er es nicht anders kann. Ich weiß, das macht es für die Familie nicht leichter. Aber vielleicht verstehst Du, was ich damit meine. Alles Gute Euch (und all den anderen hier!)!