Der Orgasmus muss weiblicher werden

Was weiß der Geist von Lust und Liebe? Der Höhepunkt gehört wohl für die meisten zu einem guten Leben. Trotzdem haben Philosophie und Sexualwissenschaft den Höhepunkt lange ignoriert.
Ist der Mensch nur da ganz Mensch, wo er fühlt? Wo er berührt wird und die höchste Lust empfindet? Oder streifen wir im Moment der Ekstase alle Zivilisation von uns ab und fallen zurück in die Tiernatur? Selbst in den letzten hundert Jahren, als über die Rollen der Geschlechter in der Gesellschaft heftig debattiert wurde, fanden die meisten Denkerinnen und Denker für den weiblichen Höhepunkt keine Worte.
Im 20. Jahrhundert beschäftigen sich die Philosophen ja wirklich mit allem, aber aus irgendeinem Grund kommt der Höhepunkt scheinbar nicht vor.
In Musik, Literatur und Filmen folgt die Darstellung des weiblichen und des männlichen Höhepunkt nach seiner Beobachtung seit Langem ziemlich fest gefügten Mustern. So entspreche eine erotische Szene in Richard Wagners „Tannhäuser“, die extrem rhythmisch, extrem finalistisch gestaltet ist, eher dem männlichen Klischee. Mit Isoldes Liebestod in der Oper „Tristan und Isolde“ habe Wagner dagegen die althergebrachte Vorstellung von einem weiblichen Höhepunkt gestaltet.
Der weibliche Höhepunkt beginnt sehr leise und mäandert sich so langsam nach oben. Diese Musik ist weniger linear, sie ist eher spiralförmig, sie ist auch in der Instrumentation und um Klangbild wärmer, weniger motorisch, eher melodiös. Und der Höhepunkt selber pendelt zwischen zwei gespannt aber letztendlich doch weichen Akkorden.
Die Lust ist schön, macht aber viel Arbeit, und dass der männliche Höhepunkt in unserer Kultur eher mit Arbeit assoziiert werde, der weibliche Höhepunkt dagegen mit Genuss, Freude und Liebe, führt auf eine Sichtweise zurück, die in erster Linie die Fortpflanzung im Blick hat. Für den Zeugungsakt ist demzufolge nur der Höhepunkt des Mannes unbedingt erforderlich. Der weibliche Höhepunkt ist eher Übungssache, so dass selbst deshalb die Sexualwissenschaft den weiblichen Höhepunkt noch kaum untersucht hat.
Man hat sich so lange nicht mit ihm befasst, weil es ihn rein biologisch betrachtet nicht braucht. Eine Frau muss keinen Höhepunkt bekommen, um schwanger zu werden.“
Biologisch betrachtet ist der weibliche Höhepunkt zweckfrei und schon deshalb ein Kulturphänomen, das gestaltet und verfeinert werden kann und auch höher zu bewerten wäre, als der Höhepunkt von Männern.
Männer können gerade deshalb von uns Frauen lernen. Beim Höhepunkt erleben wir ja nicht nur eine körperliche Entspannung, sondern auch einen Abbau von Aggression. Wir haben für einen kurzen Augenblick so etwas wie einen Frieden mit der Welt. Also eine sehr schöne Glückseligkeit, die sich nicht nur sehr gut anfühlt, sonder auch immer wieder Spaß macht. Und die sollte auch immer wieder ausgekostet und verfeinert werden. Wenn man sich mehr auf diese Dinge konzentriert und den Höhepunkt zu einer Kultur macht, dann wird er auch aufgewertet. Ich denke, da können die Männer momentan von den Frauen mehr lernen als umgekehrt.
Dabei um mehr als nur Genuss und Spaß. Der kultivierte Höhepunkt sollte eine Form der philosophischen Praxis werden.
Für mich geht es beim Höhepunkt auch um einen kommunikativen Aspekt und so etwas wie Erkenntnis im Sinne von einer tiefen Erfahrung und einem Erlebnis, das mich im weiteren Leben auch trägt und immer wieder beschäftigt.

Viele liebe Grüße

Cym

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Antworten (7)
Genau das habe ich doch geschrieben, Jungs!

Ja, ich finde Cyms Startbeitrag supergut. Wurde das denn nicht klar? Das Beste, was ich bisher von einer Frau dazu gelesen habe.

@ Dirch

Du bringst es auf den Punkt, nur so können wir uns besser verstehen und besseren Sex haben. Zu verbessern gibt's immer etwas und zu lernen auch. Weiter so !

Hallo Klassikfan,

findest Du Frauen, die so offen über die Sexualität reden wie zum Beispiel Cym es tut, nicht gut?
Finde, Frauen dürfen und sollten sich genauso offen zeigen, wie ein paar Frauen hier im Forum.
Nur so, können wir Männer, von diese Frauen was lernen und uns in der Sexualität und ich etlichen anderen Sachen verbessern.
Gute, negativ Kritik, ist die beste Form, sich zu verändern.
Wir Männer müssen uns ändern.

Gruß
Dirch

Der kultivierte Höhepunkt sollte eine Form der philosophischen Praxis ...

@Cym. Du sprichst ein ganz großes Wort gelassen aus, das ich so von einer Frau noch nie gehört habe. (Beinahe habe ich Zweifel, aber jetzt schon im voraus Bitte um Entschuldigung). Und ich habe viele Frauen in meinem Leben kennenlernen dürfen, mit offenem Sinn und großer Lust und erfülltem Liebesleben.
Dann wirst Du mir aber wohl auch zustimmen, dass das Zeitalter einer relativen Befreiung der menschlichen Sexualität (nicht nur der männlichen oder der weiblichen, sondern unabhängig von der Orientierung) noch nicht gekommen ist. Die sexuelle Aufklärung der 60er war nur eine Albernheit der Geschichte.
Aber keine Geschichte, erfüllt von Poesie, Zartheit, dabei spielerische Härte nicht immer ausschließend, und Lust auf die Lust aller anderen. Erlaube mir eine Erläuterung von "aller anderen". Warum posten wir in diesem Forum, wenn wir selbst keine unmittelbaren Probleme haben mit unserem Partner oder unserer Sexualität? Wie ich es von Dir ebenfalls annehme? Weil wir in einer Gesellschaft leben möchten, die von Glück und Offenheit und Hingabe an Schönheit geprägt ist. Mag sein, dass einige Menschen dazu weder Sinnlichkeit noch Sexualität brauchen. Das gilt für die meisten eben nicht. Viele Männer und Frauen befinden sich mit ihrer Sexualität in einem platonischen Zwischenreich, haben so eine Idee von möglicher Vollendung, aber keine Vorstellung, wie sie zu erreichen wäre. Das ist eine echte Baustelle, eine Herausforderung für Menschen, die offen sind und in einer Welt voller Sinnlichkeit und Schönheit leben möchten (ich weiß, dass für Sexualverächter sich Schönheit und Sex ausschließen. Nur sollen diese Leute allen anderen nichts kaputt machen).

Ein trauriges Kapitel

Der "orgasm gap" ist wirklich ein trauriges Kapitel. Leider sind die Theorien dazu absolut noch nicht ausgereift.
In einer Emma-Ausgabe (Ich glaube, von 2017) wird von der Theorie berichtet, wonach sich im Laufe der Evolution der Eisprung vom weiblichen Orgasmus getrennt habe. Zwar ist die Orgasmusfähigkeit der Frau dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, jedoch habe sich die zuvor in die Vagina ragende Klitoris dabei immer mehr nach außen verschoben. Daher gebe es für die Mehrzahl der Frauen enorme Probleme, beim normalen GV zum Orgasmus zu kommen. Demnach gesteht sogar Emma den Männern zu, dass sie im Prinzip "unschuldig" sind. Nach dem Motto: "Mit eurem Penis klappt es selbst dann nicht, wenn ihr euch noch so anstrengt. "- Dennoch ist die Theorie ziemlich unausgereift. Sie erklärt beispielsweise nicht, weshalb es überhaupt Frauen mit Orgasmus durch Penetration geben kann. Sind diese Frauen etwa anatomisch anders gebaut? -
Aber wie es auch sei. Tatsache ist, dass sehr viele Frauen durch manuelle oder orale Stimulierung zuverlässig kommen (leider nicht alle, aber immerhin die Mehrzahl). Aber absolut schade ist, dass sie das Bedürfnis danach während des GV nicht ausreichend artikulieren. Ein Mann würde selten auf die Idee kommen, auf den Höhepunkt zu verzichten, obwohl er immerhin möglich ist. Selbst wenn ein Mann durch Penetration niemals kommen würde, die meisten Männer - nicht alle - würden sich dann eben zusätzlich stimulieren oder stimulieren lassen. Leider ist es bei vielen Frauen anders. Sie sind darauf fixiert, durch den Penis ausreichend stimuliert zu werden und trauen sich nicht, ihr Bedürfnis anders zu artikulieren.

Hier stellt sich die Frage, woran das denn liegen könnte. An der Erwartungshaltung der Partner? Traurig, ihr Männer. Ihr müsst wissen, dass eure Partnerin meist die Vereinigung genauso herbeisehnt wie ihr auch. Dass sie euren Penis spüren möchte. Die zusätzliche Stimulierung, die sie zu ihrem Orgasmus benötigen würde, wäre nur ein leichtes Hinzutun. Etwas, das zu wechselseitigem Glück führen könnte.


Hinzukommt freilich auch, dass wir Männer nicht genug tun, um tatsächlich "begehrt" zu werden. Wir müssen zu einer sexuellen Kultur kommen, in der Männer für Frauen sexuell äußerst begehrenswert sind. Und nicht nur umgekehrt.

Aber hier beginnt ein eigenes Kapitel, einem neuen Strang vorbehalten.

@ Cym

Da können wir Männer tatsächlich noch viel lernen. Um so wichtiger ist es zu verstehen ihn gezielt zu steuern. Von Natur aus ist er einfach ein unwillkürlicher Reflex der sich anhand der Reize einstellt. Diese Reize gilt es zu steuern und zu kontrollieren. Das müssen wir lernen wobei es hilfreich ist körperlich diese Reize zu minimieren um sie besser unter Kontrolle behalten zu können. Ich denke dabei an Massnahmen wie zum Beispiel Desensibiliesiren der Eichel wobei eine Beschneidung sehr hilfreich sein kann. Es hilft aber auch nicht den Höhepunkt als Ziel der Bemühungen anzustreben sondern den Weg dorthin als das eigentliche Ziel zu sehen.
LG
Leo

Ja , liebe Cym, bei Dir wird es bestimmt nicht nötig sein. Aber ich meine die Männer müssen den Frauen mehr geben bis zum Orgasmus. Es gibt Männer die nur an sich denken und schnell den Orgasmus bei sich zu haben.
Wenn ich alte Filme sehe und beim Sex in die Frau den Penis einführen und dann nach dem sie ejakuliert haben sich schnell wieder anziehen.
Das finde ich unzumutbar. Denn die Frau ist doch auch für Sex geschaffen.
Mir macht es keine Freude wenn ich die Frau nicht befriedige.
Es es richtig so.

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