DGB Tarifverträge Zeitarbeit null und nichtig
Manita, Deine 4 Fragen beantworte ich wie folgt
1. Die DGB-Tarifverträge Zeitarbeit sind nichtig. Die DGB-Einzelgewerkschaften durften sie nicht abschließen, weil sie sich bei Tarifabschluss in ihren Satzungen nicht für die Unternehmen der Zeitarbeitsbranche tarifzuständig erklart haben. Eine Gewerkschaft ist nur Gewerkschaft innerhalb ihres in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereichs. Außerhalb dieses Bereichs ist sie nichts.
In den Organisationskatalogen aller DGB-Gewerkschaften waren die Zeitarbeitsunternehmen und -betriebe bis 2009 nirgends erwähnt! Das ist ein erheblicher Mangel der Tarifverträge Zeitarbeit. Siehe dazu BAG Beschluss 1 ABR 5/11 v. 17.04.2012, Rn.20: „Fehlt einer der Tarifvertragsparteien bei Abschluss des Tarifvertrags die Tarifzuständigkeit, ist der Tarifvertrag unwirksam (BAG 29. Juli 2009 - 7 ABR 27/08 - Rn. 24, BAGE 131, 277)“. So auch BAG 1 ABR 36/05 v. 18.06.2006, Gründe B.II.2.a)bb)).
Bei Tarifgemeinschaften von DGB-Gewerkschaften müssen notwendig alle daran beteiligten Gewerkschaften tarifzuständig sein, BAG 1 ABR 41/04 vom 27.09.2005.
Diese Wirksamkeitsvoraussetzung ist bei den DGB Zeitarbeitstarifverträgen nicht gegeben. Selbst Verdi war in den Jahren 2003-2009 nicht umfassend tarifzuständig für die Unternehmen der Zeitarbeitsbranche (ArbG Berlin 35 BV 17008/08 v. 01.04.2009), für die IG Metall siehe LAG Köln 3 TaBV 56/03 v. 27.02.2004 und BAG 4 AZR 247/96 v. 10.12.1997. In der CGZP-Entscheidung 1 ABR 19/10 v. 14.10.2010 hat das BAG die Frage, ob Verdi umfassend für den Bereich der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung tarifzuständig ist, ausdrücklich offen gelassen.
Erstaunlich auch, dass die Gewerkschaft der Polizei trotz Nullzuständigkeit die Zeitarbeitstarifverträge mit verhandelt und unterschrieben hat!
Wichtig auch: Zeitarbeit ist ein eigenständiger Wirtschaftszweig (BAG 5 AZR 303/03). Es gibt keine vom Entleiher abgeleitete Tarifzuständigkeit Zeitarbeit (vgl. BAG 4 AZR 247/96, s.o.) Maßgeblich ist ausschließlich die Gewerkschaftssatzung zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses. Spätere Satzungskorrekturen können nichtige Tarifverträge nicht mehr heilen.
Trotz seit 2009 zwischenzeitlich erfolgter Satzungsanpassungen der meisten DGB-Gewerkschaften fehlt ihnen die Tarifzuständigkeit Zeitarbeit auch heute noch. Das begründet der renommierte Arbeitsrechtler Prof. Dr. Volker Rieble in seinem wissenschaftlichen Fachaufsatz „Tariflose Zeitarbeit?“ (Betriebs-Berater 35/2012, S. 2177-2183) ausführlich. Prof. Rieble verweist u.a. auf ein beim ArbG Berlin aktuell anhängiges Beschlussverfahren 21 BV 6735/12, in dem ein Leiharbeitnehmer gegen die 8 DGB-Gewerkschaften die Feststellung ihrer fehlenden Tarifzuständigkeit für den Abschluss der Zeitarbeitstarifverträge anstrengt.
2. Seit 2003 gilt in Deutschland Equal-Pay (gesetzliche Anspruchsgrundlage: § 9 Nr. 2 i.V.m. § 10 Abs. 4 AÜG). Infolge der Nichtigkeit aller Tarifverträge Zeitarbeit können alle Leiharbeitnehmer rückwirkend bis Mitte 2003 Equal-Pay verlangen, selbst wenn die DGB-Billigtarifverträge Zeitarbeit arbeitsvertraglich vereinbart wurden! Diese Tarfverträge sind von Anfang an nichtig und konnten Equal-Pay daher nicht wirksam ausschalten!
3. Die Verjährung der Ansprüche dürfte meines Erachtens erst zu laufen beginnen, wenn die fehlende Tarifzuständigkeit der DGB-Gewerkschaften für Unternehmen der Zeitarbeitsbranche offiziell gerichtlich bestätigt ist. Die Frage, ob auch arbeitsvertragliche Ausschlussfristen bis zur offiziellen Klärung eines Beschlussverfahrens gehemmt sind, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und wird von den regionalen Arbeitsgerichten in diversen CGZP-Equal-Pay Verfahren derzeit sehr unterschiedlich beurteilt. Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen kürzer als 3 Monate sind aber per se ungültig. Ich empfehle Dir ein sofortiges Tätigwerden, um Ansprüche zu wahren. Etwaige Fristen können nur durch Klageerhebung beim Arbeitsgericht gewahrt werden!
4. Von den etablierten Gewerkschaften kann ein Leiharbeitnehmer hier leider im Moment wenig Hilfe erwarten. Die DGB-Gewerkschaften behandeln ihre eigenen Billigtarifverträge Zeitarbeit weiterhin als gültig und verdrängen die hier aufgeworfene Problematik. Das von Professor Rieble zitierte Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht Berlin 21 BV 6735/12, an dem die 8 DGB-Einzelgewerkschaften unmittelbar beteiligt sind, wurde von den im DGB organisierten Gewerkschaften bislang nicht öffentlich thematisiert oder auch nur erwähnt. Zu dem Aktenzeichen findet man auf den Internetseiten des DGB sowie der Einzelgewerkschaften jedenfalls bis heute (22.12.2012) nichts. Ich rate Dir, einen engagierten Fachanwalt für Arbeitsrecht, der hauptsächlich Arbeitnehmer vertritt, einzuschalten. Bei geringem Einkommen u. Vermögen besteht die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen, was Dein Anwalt auch für Dich übernehmen wird.
Zugegeben, das ganze Thema ist keine einfache Materie, aber vielleicht sehr lukrativ. In dem Verfahren beim LAG Baden-Württemberg 22 Sa 71/11 v. 20.03.2012 geht es sage und schreibe um eine Nachzahlung von 34.584, 02 € brutto.