@Lusinda14
Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich das bisher immer noch nicht richtig verarbeitet. Ich bin jetzt 48 Jahre, habe selbst eine Familie, und durch den Alltag und das, worum man sich täglich kümmern muss, werden diese Gedanken manchmal (soll ich sagen gottseidank?) verdrängt. Meine Mutter ist wie gesagt vor ein paar Jahren an den Folgen einer merkwürdigen physischen Krankheit, die sie schon jahrelang pflegebedürftig gemacht hatte (sie hat kein Essen mehr vertragen), gestorben. Als Kind hatte ich sie immer nur als sehr liebenswürdige, gemütliche, arbeitsame und sehr gut kochende (mniam!) Mutter gekannt, die aber nie ein wirkliches Privatleben hatte, sich nichts gegönnt hat, immer für die Familie da war, etc. Na ja, die Nachkriegsgeneration, die noch während des Kriegs oder kurz davor geboren wurde und viel Not, Hunger und Leid als Flüchtlinge (aus den Ostgebieten) mitbekommen hatte, war wahrscheinlich auch so geprägt. Mein Vater war infolge jahrelanger Arbeitslosigkeit oft zu Hause, schikanierte meine Mutter herum; sie konnte ihm nie was recht machen bzw. er fand in jeder Suppe in Haar, war wie gesagt jähzornig und die Hand rutschte ihm leicht aus. Ich durfte aufgrund dieser Strenge keine Freunde nach Hause bringen, nicht mal irgendwo anders auf eine Geburtstagsparty (irgenwann wird man auch nicht mehr eingeladen...), konnte Abends nicht raus usw.
Das als kleines Kind mitzuerleben (auch, wie die ältere Schwester regelmäßig von ihm geprügelt wurde, vor allem wenn mein Vater betrunken war) zerreißt einen innerlich. Denn eigentlich will man ja beide Elternteile lieb haben; man braucht ja auch beide und hat auch viel Gutes von beiden Eltern erfahren (es ist ja nicht so, dass mein Vater nur immer geschimpft oder geprügelt hat; es gab auch sehr schöne, familiäre Zeiten mit ihm). Und dennoch weiß man, dass man aufgrund dessen, was man erlebt hat, den anderen Elternteil nie so wirklich wird lieben und akzeptieren können...
Als es meiner Mutter nach der Rente gesundheitlich immer schlechter ging (sie war auch vorher mal längere Zeit wegen Depressionen und Selbstmordgefährdung in psychiatrischer Behandlung, um ihre Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen), verbesserte sich das Verhältnis zwischen meinen Eltern ein wenig, weil mein Vater anscheinend merkte, dass er meine Mutter doch irgendwie gern hatte und brauchte (und wenn auch nur als Bezugsperson und "Opfer"). Er hat sie auch z.B. bis zum Schluss aufopferungsvoll gepflegt. Das trug aber nicht dazu bei, dass sich der Gesundheitszustand meiner Mutter stabilisierte. Man kann wie gesagt keinen direkten Zusammenhang zwischen der (mehr physischen) Krankheit meiner Mutter im Alter und der (mehr psychischen) Belastung während all der Ehejahre nachweisen; aber ich bin sicher dass ohne das eine das andere später nicht gekommen wäre.
Heute fühle ich mich ein wenig mitschuld an dem Schicksal meiner Mutter, weil wir als Kinder zu sehr darauf gedrängt und gebettelt haben, dass meine Mutter die Familie nicht verlässt (also unser Wohl und die Familie höher gehalten haben als das Schicksal meiner Mutter, aber als Kinder hatten wir natürlich keinen anderen Blickwinkel) - aber ich glaube sie hätte es sowieso nicht über das Herz gebracht, und es war mehr eine leere und hilflose Drohung von ihr, dass sie geht. Was ich mir allerdings manchmal wirklich vorwerfe, ist, meine Mutter auch später, als ich schon älter war, nicht genug verteidigt und in Schutz genommen zu haben - obwohl ich mir andererseits sicher bin, dass eine solche Gegenreaktion meine Mutter nur noch weiter in Schwierigkeiten gebracht hätte (wegen der entsprechenden Reaktion meines Vaters, die sich an dem Schwächeren ausgetobt hätte...).
Auch heute ist es noch "schwierig", mit meinem Vater zu reden. Nicht dass wir uns streiten, aber wir tauschen oft am Telefon nur Belanglosigkeiten aus, reden auf jeden Fall nicht über die Fehler und die tiefen Verletzungen, die er uns als Familie beigebracht hat. Er selbst ist auf diesem Auge auch ziemlich blind; es gab nur mal einen Lichtblick, am Tag als meine Mutter gestorben war und er es mir gegenüber mal als Fehler bezeichnet hat, dass er sie geschlagen hat (als ob das alles gewesen wäre, was er falsch gemacht hat; es war nur die Spitze des berühmten Eisbergs). Aber damals, im Augenblick der Trauer, wollte ich auch nicht weiter auf ihn einhacken...
Ich hab Dir meine Geschichte nur deswegen erzählt, weil ich Dich davor warnen will, die Trennung Deiner Eltern mit allen Mitteln verhindern zu wollen, oder auch, Dich geistig dagegen zu sperren. Sie kommen miteinander nicht mehr klar, und sie müssen als Erwachsene (natürlich unter Berücksichtigung aller Beteiligten, wie z.B. ihr Kind) die besten Konsequenzen daraus ziehen. Eine Scheidung ist für mich immer schrecklich; es gibt so viele Ehepaare, mit denen wir befreundet waren/sind, die sich in den letzten Jahren getrennt haben. Es ist wie eine richtige Epidemie, ein böser Individualitäts-Virus, dass die Menschen es nicht mehr schaffen, zusammenzuhalten und sich gemeinsam durchzuboxen, auch durch schwierige Zeiten. Meine Eltern blieben zwar zusammen, aber eine Ehe möchte ich das nicht nennen, weil Gewalt und Verletzung im Spiel war, also mangelnde Achtung vor dem Partner. Manchmal trennt man sich lieber, gerade um den Rest von Würde und Achtung voreinander nicht zu verlieren; also damit keine Schlammschacht beginnt.
Nach der - immer sehr traumatischen und traurigen - Trennungszeit wird, wenn Du erst einmal loslassen gelernt hast, eine neue Zeit kommen, wo man sich wieder in die Augen sehen und ein weiterhin gutes Verhältnis zu seinen Eltern leben kann. Und auch die Eltern werden dadurch freier, wenn sie merken, dass ihre Trennung ihre Kinder nicht über das erträgliche Maß hinaus belastet, und können ein neues Leben anfangen.
Damit Du mich nicht falsch verstehst: Mir wäre es am liebsten, alle Ehepaare bleiben auch bei Schwierigkeiten zusammen (oder vergäben sich z.B. Seitensprünge, anstatt sie als Anlass zur Trennung zu nehmen). Aber irgendwann kann ein Punkt erreicht sein, wo die Geschichte einen neuen Weg nimmt und unumkehrbar geworden ist.
Vielleicht schreibst Du ja später mal, wie es Dir weiter ergangen ist und wie Du nach einem gewissen zeitlichen Abstand Deine neue Situation bewertest. Ich würde mich freuen.
LG
marsupi